Der alte Trapper Zachary Jones hat es mit seinem Muli bis zu seinem kleinen Blockhaus geschafft. Die Fallen sind kontrolliert aber dieses Mal leer geblieben.
 

 
Er versorgt das Muli und geht in seine kleine Hütte. Nachdem er den Ofen mit Feuerholz bestückt hat setzt er sich in seinen Schaukelstuhl und schnitzt an einer kleinen Figur, die er am Tag zuvor begonnen hat. Er hat ausgesprochenes Talent zum Schnitzen und so nimmt die kleine Figur schnell Gestalt an. Warum er so schnell fast fieberhaft arbeitet kann er sich selbst nicht erklären.

Ab und zu sieht er mit seinen müden alten Augen aus dem kleinen Fenster nach draußen. Der ohrenbetäubende Lärm der Lawine ist abgeklungen und seine Welt ist wieder friedlich. Der Schnee fällt leise. Er wartet.

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Der Wind hat wieder aufgefrischt. Der frische Schnee beißt im Gesicht. Jess`Welt ist dunkel. Er fühlt sich einsam und hilflos. Er hat nicht mehr die Kraft mit Raylan auf den Armen weiter zu gehen. Er umklammert seine kostbare Last, seine Tränen gefrieren während sie die Wangen herunterlaufen.
"Oh Lord, hast du nicht genug Opfer für einen Tag? Sind nicht vier genug?" Er muss husten, weil die kalte Luft in der Kehle schmerzt. Er ist über die Erschöpfung hinaus und im Bereich der Grauzone zum Tod.
"Lord, hör mir zu, du hast vier Leben, du brauchst nicht Raylan, nicht den Jungen!"

Jess lehnt seine Stirn gegen die kalte Wange seines Sohnes.
"Ich bin nicht gut im Beten, aber nimm nicht den Jungen, er ist noch so jung und hat kaum angefangen zu leben!"

Jess sieht nach oben zum wolkenverhangenen Himmel und seine Verzweiflung ändert sich in Wut.
"Ich lasse dich nicht den Jungen nehmen!"

Er sinkt auf die Knie. "Wenn du noch ein Leben haben musst, dann nimm meins!" Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern. "Nimm mich!"

Das melancholische Heulen eines Timberwolfes dringt zu ihm durch.

 

 
Mit großer Anstrengung guckt Jess auf seinen Sohn. Er hat ihn in seine eigene Jacke eingewickelt und hält ihn mit dem Gesicht an seine Brust um ihn vor Schnee und Wind zu schützen. Mit zitternder Hand entfernt er Schnee aus Raylans Haaren. Er sieht aus als würde er schlafen, das Gesicht wie ein Engel und er sieht so friedlich aus. Lebt er überhaupt noch? Jess wagt nicht darüber nachzudenken. Er sieht wie Blut an seinem Ellenbogen entlang rot in den Schnee tropft. Ihm ist nicht mehr kalt, er ist jenseits davon etwas zu fühlen oder vielleicht ist es das Fieber. Er realisiert mit seinem erschöpften Geist, dass er im Sterben liegt. Seine Gedanken gehen zu seiner Familie auf der Ranch und mit letzter Kraft ruft er:
"Laura, Dad, Hetty, ich kann Raylan nicht sicher nach Hause bringen, vergebt mir, Laura verzeih mir!"

Über Jess und Raylan fällt weiter der Schnee.

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Zachary Jones öffnet die Tür zu seiner Hütte, die angenehm warm ist trotz der Ritzen und des undichten Daches. Er legt seine Last ab und wirft seinen Mantel und Schal in die Ecke. Er weiß, dass er keine Zeit mehr verschwenden darf. Er zweifelt ob er den Mann retten kann. Er sieht aus als wäre kein Tropfen Blut mehr in ihm. Er betet, dass es für den Jungen noch nicht zu spät ist. Vorsichtig will er den Jungen aus den Armen von Jess nehmen, da gucken ihn ein paar tiefblaue Augen durchbohrend an und eine Hand greift nach seinem Hemd.
"Du kannst nicht Raylan haben!" Die tiefe Stimme ist ein einziges Flehen. "Bitte Lord, nimm mich, nicht den Jungen!"

Zachary Jones nimmt die Hand von Jess und sagt amüsiert:
"Mister, ich bin weit davon entfernt Gott zu sein, den du wohl hofftest zu finden. Bleib still liegen damit ich mich um den Jungen kümmern kann."

Jess fragt:
"Wer... bist...du?"

Der Trapper streckt sich und guckt auf das schmale Gesicht mit den dunklen Ringen unter den Augen. Er sieht den schwachen Körper mit den wässrigen Augen, aber er spürt ein mutiges unbeugsames Herz.

Der Trapper antwortet:
"Zachary Jones, bleib ruhig liegen damit ich mich um den Jungen kümmern kann."

Jess antwortet:
"Jess, Jess Harper! Wie hast du uns gefunden?"

Jones erwidert:
"Ich habe dich rufen hören. Der Schall macht manchmal komische Dinge. Ihr wart nur wenige Yards von meiner Hütte entfernt."

Jess lässt sich Raylan aus den Armen nehmen. Die Wärme vom Herd kommt bei ihm an und er hat Mühe bei Bewusstsein zu bleiben. Jones entfernt die Jacke, die dem Mann gehören muss und nimmt eine Decke. Er reibt den Körper des Jungen vorsichtig aber bestimmt ab.
"Stirb mir nicht unter den Händen, dieser Jess hat alles getan um dich zu retten, du musst ihm eine Menge bedeuten, du kannst jetzt nicht aufgeben, hörst du?"

Jones spürt, dass der Junge ihm gegen den Nacken atmet. Er lebt und muss jetzt dringend etwas Warmes in den Bauch bekommen. Er legt den Jungen auf die Bank am Herd und die Jacke von Jess als Kopfkissen unter den Kopf von Raylan. Er hat geschmolzenen Schnee im Topf auf dem Herd und fügt Jerky (Trockenfleischstreifen) dazu. Während die Brühe kocht, nimmt Jones das Polster von seinem Schaukelstuhl und legt es Jess unter den Kopf und deckt ihn mit einer Decke zu. Er fasst an die Stirn. Das Fieber ist gestiegen und er atmet schwerer.
"Lass mich einen Blick auf dich werfen Jess Harper!"

Der Schnee ist geschmolzen, das Hemd lässt sich leicht öffnen, Zachary Jones findet die Wunde vom Schuss, fasst Jess vorsichtig unter die Schulter und dreht ihn, findet aber kein Austrittsloch. Die Kugel ist noch im Körper. Zachary Jones sitzt auf seinen Hacken und überlegt: Harper ist so blass als ob kein Tropfen Blut mehr in ihm ist, überlebt er den Versuch die Kugel zu entfernen? Er ballt seine Hände zu Fäusten. Der Allmächtige macht es ihm nicht einfach. Wie soll man einem Sohn erklären, dass man seinen Vater hat sterben lassen? Die Brühe ist inzwischen fertig und Jones wundert sich über das Schicksal, das ihm Vater und Sohn an seine Türschwelle geführt hat. Ein Stöhnen des Jungen unterbricht seine Gedanken. Raylan träumt. Die Hand von Zachary Jones streichelt ihn an der Wange. Raylan wird langsam wach.
"Geh weg Mom, ich bin noch müde, ich will schlafen."

Er wickelt sich tiefer in die warme Decke. Jones lächelt:
"Sorry, ich bin nicht deine Mom, du musst jetzt die warme Brühe trinken damit du warm wirst."

Raylan, der von den Ereignissen noch traumatisiert ist, hört die fremde Stimme und ist erstaunt als er den alten Mann mit dem weißen Bart sieht:
"Santa Claus!"

Zachary ist amüsiert und lächelt.
"Ich bin nicht Santa Claus, ich bin Zachary Jones und nun trink die Brühe."

Er dreht sich um, weil er ein Geräusch gehört hat. Jess hat sich auf die gesunde Seite gestützt und sieht wie Raylan die Brühe trinkt. Zufrieden sackt er wieder zurück, jetzt, wo er die Gewissheit hat, dass sein Sohn lebt. Das ist die einzige Realität, die er braucht. Er hat es doch geschafft Raylan in Sicherheit zu bringen. Nachdem Raylan auch innen warm ist, schläft er gleich wieder ein. Jones wendet sich Jess zu:
"Du hast eine Kugel in dir Sohn, die muss raus."

Jess sieht ihm in die ehrlichen Augen und vertraut ihm:
"Du denkst, ich mache es nicht, nicht wahr?" flüstert er leise um Raylan nicht zu alarmieren. Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.

Jones zögert:
"Das liegt nicht in meinen Händen Jess, sondern beim Allmächtigen, der euch nicht umsonst hierher gebracht hat."

Jones legt sein Jagdmesser ins Feuer und dann auf das einzige einigermaßen saubere Handtuch. Dann überlegt er und nimmt die kleine Figur an der er geschnitzt hat. Es ist ein Weihnachtsengel. Er hat überlegt wie das Gesicht eines Engels aussehen könnte. Er ist nicht viel unter Menschen und kann sich nicht an die Gesichter von Kindern erinnern, da er nur in der Nacht seine Felle gegen Vorräte in der nächsten Ortschaft tauscht. Er guckt Raylan an und nun vollendet er seine Arbeit.

Dann drückt er Jess den Engel in eine Hand:
"Hier nimm das, dann fällt es dir leichter."

Jones wundert sich nicht mehr als sich Jess mit letzter verbliebener Kraft aufrichtet um noch einen Blick auf den schlafenden Raylan zu werfen, der den Henkel der Blechtasse um einen Finger gedreht hat.

Er hat mit Gott um ihn gehandelt und wenn der Preis sein Leben ist, so würde er ihn ohne Furcht zahlen. Raylan ist sicher. Jess hat sein Versprechen gehalten. Er guckt Zachary Jones vertrauensvoll an.